Hania Rani

2.11.2023, 20:00 Uhr

Tonhalle

Hania Rani kündigt ihr neues Album „Ghosts“ an, das ihr Songwriting und ihre Stimme in den Vordergrund stellt, und auf dem als Gäste Patrick Watson, Ólafur Arnalds und Duncan Bellamy (Portico Quartet) zu hören sind

Als Hania Rani sich im Frühjahr dieses Jahres mit „Hello“, dem Vorgeschmack auf ihr damals noch unangekündigtes neues Album „Ghosts“ erneut vorstellte, war dies für nicht wenige, die ihre Arbeit schätzen, eine Überraschung. Die verschmitzte Melodie, das eloquente Rhodes-Piano, die funkelnden Synthesizer und die Rhythmen boten wenig Anhaltspunkte für den New-Classical-Stil, mit dem sie zuvor nicht selten in Verbindung gebracht wurde. Aber wer Rani in den letzten zwei Jahren live erlebt hat, kann bezeugen, dass sich ihre Arbeit stetig weiterentwickelt. Rani wechselt immer wieder leichtfüßig zwischen musikalischen Welten: als Komponistin, Sängerin, Songwriterin und Produzentin.

„Ghosts“ ist der Sound einer Künstlerin, die ihre eigene Stimme findet, die neue Geschichten zu erzählen hat und vielleicht zum ersten Mal ihre Musik so präsentiert, wie sie gemeint ist. Es knüpft an ihre früheren Erfolge „Esja“ und „Home“ an, erweitert allerdings ihr immer noch minimales Setup aus Klavier, Keyboards und Synthesizern (vor allem ihrem Prophet) – insbesondere um ihre betörenden Stimme. Entstanden ist so ein manchmal unheimlich, ja sogar gespenstisch wirkendes Album, dessen Sound von dem isländischen Arrangeur und Hjaltalín-Mitglied Viktor Orri Árnason (Jóhann Jóhannsson, Hildur Guðnadóttir, Hauschka) und dem Mischtechniker Greg Freeman (Peter Gabriel, Goldfrapp, Portico Quartet) unterstrichen wird.

Doch bleibt die Stimmung warm und entfaltet sich in ein anspruchsvolles Doppelalbum, das insbesondere von ihren Live-Erfahrungen geprägt ist, nicht zuletzt an ihren Livestream aus dem prestigeträchtigen Pariser Les Invalides geprägt sei erinnert, der bis heute 3,7 Millionen Aufrufe verzeichnen konnte. “I love long albums,” erzählt Rani “and I would love people to listen to this as a concert because it’s actually shaped in this way.”

„Ghosts“ ist auch ein Album der Kooperation, gelegentlich ist Bassist und Moog-Spieler Ziemowit Klimek zu hören, der bereits auf „Home“ zu hören war. Patrick Watson haucht dem ätherischen „Dancing with Ghosts“ unheimliches Leben ein, und Duncan Bellamy vom Portico Quartet steuert wichtige Loops zu dem kunstvoll konstruierten „Don’t Break My Heart“ und dem ruhigen „Thin Line“ bei. „Whispering House“ – geschrieben und aufgenommen mit ihrem Freund Ólafur Arnalds – übt einen friedlich-berückenden Zauber aus, ebenso das leicht barocke „Nostalgia“, während „The Boat“ die Atmosphäre von Nils Frahms „Music For Animals“ heraufbeschwört und „Komeda“ ihre Liebe zu Pink Floyd offenbart.

Die Lyrics sind nicht zuletzt inspiriert von einem zweimonatigen Aufenthalt in einem kleinen Studio in den Schweizer Bergen, wo Rani an dem Soundtrack für einen Dokumentarfilm über den Schweizer Künstler Alberto Giacometti arbeitete, der Anfang des Jahres unter dem Titel „On Giacometti“ veröffentlicht wurde. “Where I stayed was once an old sanatorium in an area which used to be very popular, but now there are huge abandoned hotels where the locals say ghosts live. I mean, it’s kind of a local belief system – these ghosts even have names! – but once you’re deep into nature or some abandoned place, your imagination starts working on a different level. Things definitely happened that were maybe a little uncomfortable: glasses breaking and stuff like that,“ erläutert sie Rani wuchs in einem katholischen Land auf, in dem “a lot of rituals and traditions still go on in the countryside and some people believe that ghosts are people not ready to die.” Es ist diese Prägung, die sie ermutigte, jene Themen weiter zu erforschen, ihre eigene Lebenswelt außen vor zu lassen und sich dem Leben und den Gedankenwelten anderer Menschen zuzuwenden – und die schwer fassbaren Gestalten der Geister zur Illustration ihrer Konzepte zu verwenden. „Dancing with Ghosts“ zum Beispiel handelt von der Abwesenheit in der eigenen Welt, „Hello“ befasst sich mit dem Grenzzustand zwischen Wachen und Schlaf, „Utrata“ wiederum mit der mystischen Entstehung von Musik selbst und „A Day in Never“ mit der Natur der Zeit.

“The edge of life and death”, fasst Rani zusammen, “and what actually happens in between: this was what really interested me. Even singing the word ‘death’ was quite a shock. It’s such a weird word to say out loud, and people are afraid of it, which I found extremely interesting. Most of the songs probably still talk about love and things like that, but Ghosts is more me thinking about having to face some kind of end.”

Ging es bei ihrem Debütalbum „Esja“ darum, ihr Hauptinstrument zu erforschen, und bei „Home“ darum,
Schritte in Richtung eines umfassenderen Ausdrucks ihrer Kunst zu unternehmen, vereint sie auf „Ghosts“ ihre vielfältigen Interessen auf einem Werk, das man in diesem Sinne vielleicht sogar als ihr erstes „richtiges“ Album bezeichnen könnte.

Zugleich ist es inspiriert von ihrer Bewunderung für so verschiedene Künstler*innen wie Enya, The Smile, James Blake – ganz zu schweigen von jener für ihre Gäste – und vereint Stina Nordenstams Zartheit, Keith Jarretts Flair, Kate Bushs Kunstfertigkeit und Pink Floyds forschenden Neigungen in einer wunderbaren, kosmischen Musikwelt. Begrüßen wir also etwas, das ganz anders klingt als alles, was wir jemals gehört haben. Den Klang von HANIA RANI.

Weitere Künstler